Freitag, 6. März 2020

Der Bär (welcher auch immer)

Schon der Titel dieses französischen Werkes von 1988 mutet seltsam an, da nämlich nicht nur einer, sondern gleich zwei Bären im Film vorkommen, um die sich die Geschichte rankt. Und so kommt unweigerlich die Frage auf: Welcher der beiden ist mit „Der Bär“ denn nun gemeint? Der kleine oder der große Bär?

Eine Inhaltsangabe:
Die Geschichte an sich beginnt traurig. Beim Ausrauben eines Bienennestes wird die Mutter des kleinen Bären von einem sich lösenden Felsbrocken erschlagen, was den kleinen Bären zu mitleiderregendem Weinen veranlasst. Ja, es klingt wirklich so, als hätte man die eigentliche Tonspur zusätzlich mit einem leisen Kinderwimmern unterlegt – mit einem sehr menschlichen Kinderwimmern. Dazu noch theatralische Musik, die das Ganze untermauert. Offensichtlich will man uns zum Heulen bringen. Doch ich kann mich beherrschen.

Nach der ersten Viertelstunde Spielzeit taucht erstmalig der große Bär auf – und dann ein Eichhörnchen, das ihm aus Versehen einen Tannenzapfen auf den Kopf fallen lässt. Verständlicherweise möchte es ungern aus Rache von ihm verspeist werden. Es huscht ängstlich durch den Baum und gibt dabei sehr eindeutige Meerschweinchengeräusche von sich. Ja, wirklich – Meerschweinchengeräusche! Das finde ich ziemlich verstörend. Aber auch äußerst lustig. Wahrscheinlich wussten die Männer vom Ton nicht, was ein Eichhörnchen so für Geräusche macht. Da dachten sie sich: „Egal! Alle Tiere, die auf „-nchen“ enden, werden schon irgendwie ähnlich klingen!“

Um dem Film etwas Spannung beizumischen, befand man es für nötig, zwei Jäger auftauchen zu lassen. Nennen wir sie der Einfachheit halber „Opa-Jäger“ und „Schnösel-Jäger“. Die beiden entdecken den großen Bären, genauer gesagt: den großen Baum, an dem dieser sich genüsslich schubbert und der dabei ordentlich ins Wanken und Schwanken gerät – was aus der Ferne gut zu sehen ist. Andere Jäger orientieren sich an Fußspuren oder umgeknickten Grashalmen, diese hier an wackelnden Bäumen. Herrlich!
Nur wenige Augenblicke später erschießt der Schnösel-Jäger den großen Bären … Ach, nein, Moment! Er schießt ihn bloß an. Sonst wäre der Film ja auch irgendwie vorbei. Obwohl: Es gibt schließlich noch einen zweiten Bären und dann wäre auch wenigstens mal klar, welcher der beiden mit „Der Bär“ gemeint wäre, nämlich der noch lebende. Wie auch immer. Der große verwundete Bär rächt sich an den Jägern, indem er ihr Lager zerstört – und Opa-Jägers Pferd. Was traurig ist, weil das Pferd nun wirklich nichts dafür kann. Opa-Jäger ist sauer und schwört dem Bären, ihn zu töten.

In den darauffolgenden Minuten hinkt der große Bär durch die Gegend (wobei ich mich ununterbrochen frage, wie man einen Bären trainingstechnisch dazu bringt, so etwas zu tun?) und kühlt seine Wunden in Pfützen. Der kleine Bär – wer weiß schon, wo er zwischenzeitlich gesteckt hat? – spürt ihn auf und will mit ihm ziehen. Der arme leidende große Bär will kein zusätzliches Anhängsel und knurrt ihn böse an. Der kleine Bär will sich aber nicht abschütteln lassen. Elendige Bratze! Schließlich beginnt er, dem großen Bären die Schusswunde zu lecken – ob es ihm gelingt, auch die Kugel zu entfernen, verrät man uns nicht. Dem großen Bären jedenfalls gefällt’s. Er erwidert das Geschlabber. Geigen. Orchester. Hoffnung. Der kleine Bär ist nicht mehr allein. Der große auch nicht. Juhu! Die ersten dreißig Minuten des anderthalbstündigen Films hätten wir geschafft.

Die Bären gehen Fische fangen, dann jagen sie einen Hirsch. Beim letzteren robben sie bäuchlings näher an ihn heran. Ich bezweifle, dass Bären das in der Realität tatsächlich so machen – aber man belehre mich gern eines besseren, wenn man sich auskennt. Schließlich erlegen die beiden ihre Beute, wobei ich denke, der große Bär hat dabei den Bärenanteil (ha, ha!) erledigt. Genau kann ich es nicht sagen. Denn die Szene des Erlegens findet hinter einem Busch statt, weil’s ansonsten für den Zuschauer wohl zu brutal anzuschauen wär. Ja, oder weil man es filmisch schlecht umsetzen konnte, dass der große Bär dem Hirsch tatsächlich an die Kehle springt. Zumindest hätte man in diesem Fall auf die abschließende Bemerkung verzichten müssen: „Während der Dreharbeiten zu diesem Film sind keine Tiere zu Schaden gekommen.“
Es wird gefressen, dann geschlafen. Der kleine Bär hat einen Alptraum. Die hat er oft.

Wie sie so durch die Landschaft streifen, treffen die ungleichen Bärenkumpels eine Bärenlady. Der große Bär fällt erstmal ein paar Bäume, um sie zu beeindrucken. Der kleine Bär, der ihm alles nachmacht, ohne nachzudenken, rackert sich an einer kleinen Tanne ab. Oder ist es ’ne Fichte? Jedenfalls ohne Erfolg.
Die Bärenlady ist hin und weg – vom Großbären, nicht vom Kleinbären – und dann passiert, was eben passiert zwischen Männlein und Weiblein. Der kleine Bär guckt heimlich zu, scheint aber nichts von alledem zu verstehen. Er wirkt schnell gelangweilt, schläft beinahe ein, geht dann weg, um nach Zerstreuung zu suchen, findet Pilze – die falschen Pilze – und nimmt ein paar Bissen. Kennen Sie „Bridget Jones – Am Rande des Wahnsinns“, den zweiten Teil von „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“, wo Bridget in Thailand diese halluzinogenen Pilze isst? So in etwa muss man sich das hier auch vorstellen.

Nach einem gemeinsamen wilden Tag und einer darauffolgenden gemeinsamen ruhigen Nacht, haut der große Bär ab, während Ladybär noch schläft. Schuft! Wenigstens sein kleiner Bärenkumpel (der seinen Rausch inzwischen ausgeschlafen hat) bemerkt, wie er sich davon stiehlt und folgt ihm.
Opa-Jäger hatte Schnösel-Jäger in der Zwischenzeit allein gelassen, um Verstärkung zu holen. Nu is er wieder da: Inklusive drittem Mann und einer Meute Hunde. Darunter ein Lieblingshund. Woran man erkennt, dass es sich um einen Lieblingshund handelt? Erstens ist er als einziger Hund blond und wuschelig, anstatt dobermannartig. Zweitens wird er bei ihrer Ankunft erstmal innig vom Schnösel-Jäger geknuddelt. Man ahnt schon jetzt Böses.

Die Jäger machen sich auf die Jagd. Kein Mensch weiß, warum die eine Hälfte der Hunde angeleint ist, die andere hingegen nicht. Zumindest scheinen sie Fährte aufzunehmen, denn sie kommen den Bären näher. Aber auch Bären haben bekanntermaßen Nase und Ohren. Sie riechen und hören die Hunde von weitem, machen sich aus dem Staub, klettern in die Berge.
Verfolgungsjagd! Hunde kommen bedrohlich nahe. Kleinbär versteckt sich in einer Höhle. Großbär schlägt zu. Hunde fliegen durch die Luft. Großbär haut ab. Die restlichen Hunde hinterher. Jäger finden Lieblingshund verletzt in Spalte. (Hat man leider kommen sehen.) Opa-Jäger erschießt ihn. Schnösel-Jäger weint. Kleinbär wagt sich aus Höhle. Zu früh. Jäger entdecken und fangen ihn. Lebende Trophäe und so.

Zurück im Lager wird der kleine Bär von den Jägern geärgert. Bestimmt deshalb, weil er so klein und weniger deshalb, weil er ein Bär ist. Jedenfalls bezweifle ich, dass sie es mit dem großen Bären genauso gemacht hätten. Und sie scheinen nichts Besseres zu tun zu haben. Der Schnösel-Jäger versucht gar, ihm sprechen beizubringen. Opa-Jäger lacht. Beide scheinen den Tod ihres Lieblingshundes gut weggesteckt zu haben.
Man hört ein lauter werdendes Bellen und weiß: Die restlichen Hunde kehren heim ins Lager. Während die Jäger aufstehen und rufen, um es ihnen leichter zu machen, rettet sich der kleine Bär erstmal auf einen Baum, weil die Hunde (teilweise schwer verwundet) immer noch genug Kraft haben, ihn ordentlich zu verbellen.

Beim späteren Versuch des Kleinen, sich von seiner Fessel zu befreien, ertönen wieder sehr menschliche Geräusche – ein angestrengtes und ein bisschen verärgertes Kinderkeuchen. „Mensch, dieses doofe Seil muss doch abgehen!“
Ab geht das Seil leider nicht. Aber durchknabbern kann er es während der Nacht. Am nächsten Morgen finden die Jäger ihn schlafend zwischen toten Bärenfellen und finden das sehr amüsant. Sie ärgern ihn – mal wieder! –, indem sie ihm Essen vor die Nase halten und es ihm dann wieder wegnehmen.
Der große Bär ist währenddessen immer in der Nähe und beobachtet das Geschehen. Man weiß: Er will seinen Kumpel wiederhaben und wartet nur auf den richtigen Moment.

Die Jäger, die immer noch scharf auf den großen Bären sind, teilen sich auf, um ihn zu finden. Der Kleine wird im Lager zurückgelassen, zusammen mit einem verletzten Hund, der zunächst friedlich schläft. Doch der kleine Bär macht einen solchen Krach beim Ausrauben der Konserven, dass er die Aufmerksamkeit des armen Hundes erregt. Er springt auf und jagt ihn durchs Lager, ist zum Glück aber angeleint, sodass sich seine Leine mal hier und mal dort um die Bäume legt und er schließlich … nicht weiterkommt. Kleinbär nutzt die Situation aus, indem er sich direkt vor ihn setzt und ihn ärgert. Kleine Bratze!

Der Schnösel-Jäger sollte eigentlich auf seinem vorgesehenen Posten bleiben, hat dann aber schrecklichen Durst und sucht eine Bergquelle, um sich zu erfrischen. Da kommt rein zufällig – oder auch mit voller Absicht – der große Bär um die Ecke. Er macht ordentlich Stunk, scharrt ihm Dreck zu und brüllt ihn zusammen, dass die Sabber fliegt. Der Schnösel-Jäger macht sich klein und winselt um Gnade. Fliehen kann er nicht, da sich neben ihm ein Abgrund befindet. Der Bär zieht sein Ding ab und wird schließlich ruhiger. Man hört ihn förmlich denken: „Ach, komm, lass ich den Feigling eben leben!“ Dann geht er.

Der Schnösel-Jäger – immer noch aufs Abknallen programmiert – läuft und holt sein Gewehr, visiert an, kann dann aber nicht schießen. Auch den Opa-Jäger, der dazukommt, hält er davon ab, abzudrücken, indem er den Lauf seiner Flinte packt und ihm einen mitleiderregenden „Ja-ich-weiß-ich-bin-nicht-der-mannhafte-Jägerkollege-den-du-dir-immer-gewünscht-hast-Blick“ zuwirft.
Schließlich und schlussendlich packen die Jäger ihre restlichen Hunde zusammen und lassen den kleinen Bären gehen. Checken tut er es nicht und folgt ihnen. Der Schnösel-Jäger jagt ihn davon und dann weiß man: Freiheit! Jetzt ist alles gut!

Nichts ist gut. Neue Szene – neues Pech. Ein blutrünstiger Puma taucht auf und will dem Kleinen an den Kragen. Beim Weglaufen wieder so komisch menschliche Geräusche. Dann der Nahkampf: kleiner Bär gegen Puma. Der Kleine brüllt so laut er kann, was ziemlich albern klingt, weil er eben noch ein Baby ist. Trotzdem – man glaubt es kaum – verschwindet der Puma. Doch bevor der Kleinbär es sich selbst zuschreiben kann, bemerkt er, dass der Großbär hinter ihm steht. Dieser leckt ihn sauber. Und dann auch umgedreht. Musik und so. Wie gehabt. Die beiden sind wieder vereint. Jetzt ist wirklich alles gut. Jetzt latschen sie wieder zu zweit durch die Gegend. Schneeflocken. Wintereinbruch. Höhlensuche. Höhle gefunden. Immer hinein da. Winterschlaf. Mehr Musik. Alles friedlich und so. ENDE. Abspann. Lache immer noch über das Eichmeerschweinhörnchen.
PS: Und weiß auch im Nachhinein noch nicht, welcher Bär denn nun eigentlich „Der Bär“ ist.

Nachtrag: Inzwischen weiß ich immerhin, dass Eichhörnchen wirklich sehr meerschweinchenähnliche Geräusche produzieren können. Wer hätte das gedacht?